Am 26. Januar 1944 verhafteten Gestapo-Beamte den bekannten Berliner Rechtsanwalt Dr. Alfred Etscheit auf dem Flughafen Tempelhof. Nach ersten Verhören wurde er ins KZ-Ravensbrück gebracht. Im fernen Wien nahm sein Freund und Geschäftspartner, der frühere links-liberale Reichstagsabgeordnete und Privatbankier Hartmann von Richthofen die Nachricht von der Festnahme mit großer Sorge auf. Den Gestapo-Ermittlern gelang es zwar nicht, den Verdacht zu erhärten, Etscheit habe »staatsfeindliche Beziehungen zum Ausland« unterhalten. Dennoch blieb er in Schutzhaft.
Die Annahmen des ermittelnden Kriminalrats waren nicht aus der Luft gegriffen. Nach dem Sieg der Wehrmacht in Polen 1939 waren von Deutschland aus zahlreiche Friedensfühler ausgestreckt worden. Zu den unterschiedlichen Gesprächsversuchen, die bei einem britischen Beobachter den Eindruck einer »orgy of peace-feelers« hinterließen, hatten auch Etscheits und Richthofens Kontaktaufnahmen mit Franzosen und Briten in der Schweiz gehört. Sie waren im Geheimauftrag des Spionagechefs Vizeadmiral Wilhelm Canaris mit dem Ziel unterwegs gewesen, Verhandlungen zu einem Verständigungsfrieden vorzubereiten. Wie zahlreiche hohe Militärs, darunter Generalstabschef Halder, ein Schulfreund Etscheits, wollten sie eine Kriegsausweitung im Westen, auf die Hitler drängte, verhindern. Ein Generalsputsch schien möglich?
Richthofen und Etscheit, die zur Tarnung ihrer eigentlich politischen Agenda einige nachrichtendienstliche Aufgaben erledigten, waren auch an ersten Versuchen beteiligt, für die Widerstandsgruppe, die sich in der Abwehr um Hans von Dohnanyi und Hans Oster gebildet hatte, einen geheimen Unterstützungsfonds im Ausland zu schaffen. Während ihres Aufenthalts in der Schweiz gingen sie zudem ihren eigenen Geschäften nach, die die risikovolle Fluchthilfe für jüdische Bekannte und Klienten einschlossen. Nicht selten wirkten sie außerhalb der im NS-Reich herrschenden Legalität. Sie bewegten sich im undurchsichtigen Geheimdienstmilieu, waren selbst Grenzgänger mit teilweise ambivalenten Seiten, wurden von der Schweizer Gegenspionage für Gestapo-Agenten gehalten, dann aber im Reich gleich mehrmals denunziert - mit bedrohlichen Folgen. Hartmann von Richthofen wurde von der Wiener Gestapo regelmäßig wegen »Wirtschaftssabotage und Judenbegünstigung« vorgeladen. Er musste schließlich untertauchen und überlebte so den Krieg; Etscheit hingegen starb am 5. September 1944 im Konzentrationslager Flossenbürg in der Oberpfalz an »Herzinsuffizienz.«