Christentum und Islam bestimmen das Verhältnis von Religion und Politik in je spezifischer Weise. Dies gründet, so die These, in unterschiedlichen "Grammatiken" mit irreversiblen Elementen: in Gründerfiguren (Jesus, Paulus, Mohammed), autoritativen Texten (Neues Testament/Kirchenväter, Koran/Hadithe) und frühen politischen Erfahrungen (Machtdistanz im Christentum, Machtausübung im Islam).
Die daraus entstehenden "Pfaddispositionen" zeigen sich in der Aktualisierung des kollektiven Gedächtnisses. Dabei entstehen durch Interpretation Entwicklungswahrscheinlichkeiten, keine determinierten Prozesse. Ähnliche Elemente in beiden Religionen führen dann aufgrund ihrer "Statusrelativität" (einem unterschiedlichen Stellenwert) zu unterschiedlichen Entwicklungen.
Die Auswirkungen der Grammatiken werden am Christentum in Lateineuropa und dem Islam im Osmanischen Reich diskutiert. Mit der Globalisierung seit dem 19. Jahrhundert sind zwei Faktoren hinzugekommen: Demokratie und Säkularisierung. In diesem historischen und zeitgenössischen Bedingungsgefüge bestimmen Islam und Christentum das Verhältnis von Religion und Politik weiterhin unterschiedlich, wie an Fallbeispielen (Fribourg, Frankreich, Iran, Tunesien) gezeigt wird.
Warum gestalten Christentum und Islam die Beziehungen zur Politik unterschiedlich? Weil sie über eine eigene "Grammatik" verfügen. Ihre kanonischen Schriften haben unterschiedliche Inhalte, die frühen politischen Erfahrungen waren gegensätzlich. Die Konsequenzen prägen die politische Praxis und Theorie bis in die Gegenwart. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden christlich geprägte Kulturen eine andere Form der Demokratie als islamische entwickeln.