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Vorwort
Ein Stupser dichtet. Einer, der Fünfe nicht gerade stehen lassen kann, weil er in jedem schlichten Ding noch mehr entdeckt, einen neuen Aspekt, einen kritisch zu benennenden Fakt. Kuno Roth nennt sich selber keinen expressiven Menschen, sondern einen reflektierenden, der Erlebtes durch sich zuerst mal hindurch sickern lassen muss.
Er hat eine eigene Art, die Sprache auszuloten, verbindet Wortspiele mit Widerborstigkeit. Er will vermitteln, seine Erkenntnisse und Einsichten, die stets in eine nachhaltige, menschliche Zukunft weisen. Hier, in seinem sechsten, inhaltlich gewichtigsten Gedichtband, kulminiert seine Hingabe an die Natur mit dem gesellschaftlichen Gebot der Stunde, dem Klimaschutz.
In jüngeren Jahren ein inspirierter Jugendprojektleiter bei Greenpeace, wirkt er dort heute fast weltumspannend als feinfühliger Mentor mit pointierter Haltung: «Nachhaltig lernt man mit Hoffnung, nicht in Angst.» Nicht die Wut der Engagierten sei zu nähren, denn diese führe in eine zwar verbreitete, doch paradoxe Haltung: Es geht alles vor die Hunde, also engagiere Dich! Ihm hingegen liegt es am Herzen, dass Jugendliche ihre ganze Gefühlsvielfalt zum Ausdruck bringen. In seinen Gedichten und Aphorismen wird dieses Denken kondensiert. Es entstand auf speziellen Wegen.
Über intellektuelle Gipfel und Grate kletternd, machte er als Zweiunddreissigjähriger auf einer naturwissenschaftlichen Passhöhe Rast, hatte seine Dissertation in physikalischer Chemie abgeschlossen. In akribischer Arbeit untersuchte er mit Spektrometern das Verhalten von Molekülen, um zu eruieren, was sie bewegt. Seine grosse Frage: Welche Eigenschaften haben Moleküle in ihrem Anregungszustand? Um sie anschliessend so zu beeinflussen, dass sie von dort vermehrt nach A statt B wechseln, wobei A der gewünschte Effekt, B der unerwünschte Nebeneffekt war.
Es scheint, er habe damals sein Thema gefunden - und musste es am eigenen Sein durchleben. Bei der genannten Umweltorganisation vorstellig geworden, um als Experte für Umweltchemie zu arbeiten, erhielt er den Job, doch mit dem Vorbehalt, sich bitte vorerst um ein internationales Schulprojekt zu kümmern. Kuno Roths Moleküle wurden unvermittelt geschubst, weg von A wie Akademie, hin zu B wie Bewegungspsychologie. Seiner Dissertationsfrage stellt er sich seither neu: Wie kann man den menschlichen Anregungszustand so beeinflussen, dass sich sein Verhalten positiv auf die Umwelt auswirkt?
So entstehen diese hier verdichteten Begegnungen, unangenehm knirschende oder weithin sinnierende, bis «hinter den Rand überbordender Zeit». Wir Lesenden können uns glücklich schätzen, dass wir gestupst und nicht gestreichelt werden.
Kaspar Schuler
In den Alpen, im September 2020
Kaspar Schuler war Hirt, Journalist, Geschäftsführer und Klimakampagnenleiter bei Greenpeace Schweiz, ist Organisationsentwickler und heute Co-Geschäftsleiter bei CIPRA, der internationalen Alpenschutzkommission. |